Herbst in der Sonnenstube der Schweiz
Wilde Wolken und letztes Abendlicht am Berg
Der Herbst in der Schweiz ist für mich etwas ganz Besonderes. Da ich Grüntöne in meinen Bildern oft zu vermeiden versuche, ist die Zeit der gelben Lärchen und braunen Wiesen ein wahres Eldorado für mich. In den letzten Jahren war es arbeitsbedingt für mich nie möglich diese Zeit fotografisch auszukosten und so freute ich mich umso mehr, dieses Jahr ein paar auserlesene Orte besuchen zu können. Nachdem ich im Kanton Graubünden schon zahlreiche Spots in gutem Licht erleben durfte, entschied ich mich gleich nochmals zwei Tage der Herbstfotografie zu widmen.
Kurz nach 14.00 Uhr fahre ich mit frisch geladenen Akkus zu einem Pass, wo ich den ersten Abend verbringen will und von wo aus ich mich spontan für das Wallis oder für das Tessin entscheiden kann. Trotz viel Verkehr bin ich pünktlich eine Stunde vor Sonnenuntergang an einem der vielen schön gelegenen Tümpel auf dem Passplateau. Ich stelle mein Stativ auf und warte nicht sehr lange bis sich erste schöne Lichtsituationen abzeichnen. Die aufgrund schwachen Windes leicht diffuse Spiegelung ebne ich mit dem mitgeschleppten ND-Filter, welcher zusätzlich die Wolkenbewegung als positiven Nebeneffekt der Langzeitbelichtung weichzeichnet und veranschaulicht.
Trotz oder wegen der schönen ersten Fotos entscheide ich mich im Dunkeln noch nach weiteren Tümpeln zu suchen, welche sich für ein spontanes Milkyway-Shooting eignen. Die Wolken verzogen sich nämlich allmählich immer mehr und hier oben ist die Lichtverschmutzung nicht besonders stark ausgeprägt. Nach einer halben Stunde fand ich schon einen geeigneten Kandidaten und beeilte mich, noch kurz vor der astronomischen Dämmerung ein paar Bilder vom Vordergrund auf Blende 14 für absolute Tiefenschärfe zu knipsen. Da fast kein Licht mehr am Horizont war, fiel die Belichtungszeit der drei nötigen Aufnahmen dann doch sehr lange aus und ich nutzte die Zeit um mich ein wenig mit Hüpfübungen aufzuwärmen, denn in der Zwischenzeit war es ganz schön frisch geworden. Die Milchstrasse steht zum Glück in dieser Jahreszeit kurz nach Einbruch der Nacht schon am höchsten Punkt und so musste ich keine zehn Minuten warten zwischen den Belichtungen des Vordergundes und den 32 Bildern des Nachthimmels fürs Stacking. Als alles im Kasten war, ging ich fix zurück zum Auto auf der Passhöhe und richtete mich bequem ein in meinem Camper-Golf.
Am nächsten Tag überprüfte ich zuerst verschiedene Wetter-Apps nach Veränderungen der Prognose. Der Plan war eigentlich ins Wallis zu fahren, aber aufgrund der angekündigten Wetteränderung entschied ich mich fürs Tessin, der Sonnenstube der Schweiz. Da gibt es nämlich einige sehr interessante Bergseen, an welchen sich die Lärchen nur so tummeln. Auch würde ich da gewiss auf keine Menschenmassen treffen, wie es jedes Jahr um den Silsersee der Fall ist. Und ein bisschen einsame Bergidylle tut der Seele auch mal gut.
Die Reise geht also weiter in ein abgelegenes und super-idyllisches Tal im hintersten Winkel der Schweiz. Endlos schlängeln sich die schmalen Bergstrassen das Tal hinauf vorbei an wunderschönen, urchigen Buchenwäldern, welche es alleine schon Wert wären, hier her zu fahren. Ich bleibe sogar ein paar mal stehen, um von diesen knorrigen und verwunschenen Bäumen mit dem Natel ein paar Bilder zu knipsen. Zum Glück ist hier kaum Verkehr und so geniesse ich die restliche Fahrt bis zu einem kleinen Parkplatz, der als Ausgangspunkt für die Wanderung geeignet ist. Zwei Wanderer schlendern vorbei und fragen mich, ob ich der Besitzer des kleinen Chalets bin, welches sich leicht unterhalb des Abstellplatzes auf einer herrlich gelegenen Terasse befindet. Naja da hätte ich nichts dagegen, Besitzer eines so perfekt gelegenen Ferienhäuschens zu sein. Nach diesem kurzen Small Talk über diese schöne Region richte ich meinen Rucksack, der heute besonders schwer ausfällt. 3 Kameras, 3 Objektive, 2 Stative und eine Drohne. Dazu noch das Kamerazubehör, 10 Akkus, Zelt, Matte, Schlafsack und 4 Liter Wasser, damit es bloss kein Kopfweh wegen Dehydrierung gibt. Zum Glück habe ich genug Zeit eingeplant für den Aufstieg, deshalb sollte das Gewicht keine Rolle spielen.
Geröllhänge an welchen sich die Lärchen scheinbar wohl fühlen
Zuerst geht der Weg etwa 200 Höhenmeter abwärts im Wald bis zu einem tosenden Bergbach, den man über eine Brücke überquert. Ein wenig skeptisch mustere ich die nassen Holzbretter, welche nicht mehr allzu stabil wirken aber mache mir dann bewusst, dass es wohl nicht die Schlüsselstelle dieser Wanderung sein wird. Ab dann geht es bergauf und zwar ein ganzes Weilchen lang. Ich freue mich auf den schattigen Aufstieg, denn im kühlen Wald, mit seinem angenehmen Mikroklima, fällt mir der Aufstieg jedesmal nur halb so schwer. Nach einer Stunde komme ich dann auf einer Alp an, wo man schon eine sehr schöne Aussicht auf die umliegenden Berge hat. Die Lärchen hier unten sind grösstenteils noch grün, jedoch verrät der Blick nach oben, dass die Farbe mit zunehmender Höhe gelbstichiger wird. Der letzte Aufstieg durch die Lärchen wird noch einmal ein wenig steiler und auch die Sonne ist nun nicht mehr geblockt vom dichten Geäst. Die ersten 2 Liter Wasser sind nun auch im Magen und nicht mehr auf dem Rücken, denn die Hitze wird langsam drückend. Oben angekommen am höchsten Punkt der Wanderung stehe ich dann über der Baumgrenze und sehe endlich das ganze Bergpanorama. Nun traversiere ich rüber zum Bergsee und hoffe auf vollen Wasserstand. Es wäre nicht der erste See, welcher kein Wasser hat dieses Jahr.
Am Ziel angekommen, leuchten meine Augen vor Freude, einfach nur schon weil der See Wasser hat und weil die Lärchen perfekt gefärbt sind. Und wie idyllisch es hier ist! Sofort packe ich meine Kamera aus und mache ein paar Tagesbilder, welche mit dem Licht in den Lärchen ausnahmsweise auch mal legitim sind. Nachdem ich die Gegend gründlich nach optimalen Pespektiven abgesucht habe, stosse ich im steilen Geröll auf die Überreste einer Gämse. Der Schädel war einwandfrei und auch schon frei von jeglichen Fleischresten. Auch duftete er gar nicht mehr nach Verwesung und so entschied ich mich den Schädel als Souvenir mitzunehmen. Er sollte später auch am See in der Wiese als Vordergrund für ein besonderes Nachtbild dienen. Schliesslich ist bald Halloween und irgendwie würde das passen.
Am Abend versumpft das Licht leider am Horizont und der Schleier leuchtet nicht wie gewünscht lila. Trotzdem suche ich zufrieden über die gelungenen Tagesbilder nach einem geeigneten Schlafplatz und werde hinter dem See auf einer wirtlichen flachen Wiese fündig. Danach gibt es feine Sandwiches, liebevoll angefertigt von meiner besseren Hälfte. Ich finde hier sogar eine wenig Empfang auf dem Handy und rufe meine Liebste kurz an, damit sie sich keine Sorgen macht. Danach gehe ich wieder zum See und mache ein paar Nachtaufnahmen mit dem gefundenen Souvenir. Der Schleier am Himmel war von der Lichtverschmutzung schön orange erhellt, und so sah das Ganze dann doch ganz zufriedenstellend aus auf dem Display. Zurück am Schlafplatz kippe ich schnell in die Welt der Träume nach diesem langen und erlebnisreichen Tag.
Als der Wecker klingelt, ist noch stockfinster. Der Blick aus dem Zelt vertreibt jedoch schnell die letzten Schlafhormone und Müdigkeit. Zu vielversprechend sieht der Horizont aus, als dass mich die kuschelige Wärme meines Schlafsackes verlockt, dem Schlafmangel der letzten Tage nachzugeben und wieder friedlich weiter zu dösen. Auch ist es zum Glück gar nicht so kalt wie erwartet und so bin ich schnell in den Schuhen und bereit für dieses Lichtspektakel. Wenn es bereits 40 Minuten vor dem Sonnenaufgang so in den Wolken glüht, dann kann nur etwas ganz Grosses folgen. Und genau so war es. Eine gefühlte Stunde lang war ich im absoluten Fotografen-Himmel auf Wolke 7 mit Blende 14 am Fokusstacken und Mehrfachbelichten was das Zeug hält. Mit drei Kameras hielt ich dieses Schauspiel aus verschiedenen Winkeln fest (zwei davon natürlich im Intervallmodus). Einen solch bombastischen Sonnenaufgang an diesem Ort zu erleben war definitiv ein Lotto-Sechser!
Bis in den Mittag hinein waren die Wolken schön, dann wucherten Sie den Himmel vollends zu bis es schliesslich bloss noch ein flächendeckender grauer Teppich war. Schnell packte ich mein Zeug zusammen und machte mich mit einem Totenschädel und einem stattlichen Stein für den Garten auf den ewig langen Heimweg.