Da wo der Gletscher kalbt

Einmal im Jahr will ich da oben stehen. Oben wo der Gletscher in einen kreisrunden See kalbt und jedes Jahr neue Kunstwerke aus abgetrennten Gletscherfragmenten im Wasser herum schwimmen. In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen auf der Seite des Sees die Nacht zu verbringen, von wo aus sich eine sehr gute Perspektive zur untergehenden Milchstrasse anbietet. Den Weg meistere ich dieses Jahr sehr schnell und kräfteschonend. Auch wenn die Sonne beim Aufstieg pausenlos auf meine schwarzen Winterwanderhosen brennt, komme ich gut voran und habe oben schliesslich genug Zeit in aller Ruhe mein Billigzelt mit Hilfe von Steinen windfest aufzubauen. Der See ist zu meiner Überraschung bereits zugefroren. Also gibt es keine Spiegelung, denk ich mir, ein wenig enttäuscht.

Das Licht der “Blauen Stunde” bestrahlt die Steinlandschaft

Am Abend wollte ich zuerst an die andere Seeseite, jedoch entschloss ich mich unterwegs weiter nach oben aufzusteigen, da ich diese Perspektive auch noch nicht kannte. Der Weg da rauf war steil und mühsam, da man wirklich sehr Acht darauf geben muss, die Füsse nicht einzuklemmen unter plötzlich in Bewegung geratenen Steinblöcken. Aber genau diese wilde Steinwelt hat mich optisch enorm angesprochen. So suchte ich eine besonders schöne Komposition aus Felsblöcken zwecks Vordergrund, um diese gewaltige Aussicht bei den letzten Sonnenstrahlen abzulichten. Bis in die blaue Stunde blieb ich noch oben und stieg dann in der Dämmerung Richtung Zelt hinab. Da gab es dann erst einmal was zu Essen, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich an diesem Tag erst ganz wenig Festes zu mir genommen und doch schon ein paar Kalorien verbrannt.

Dann brach die Nacht herein und offenbarte die Schönheit dieses isolierten Gletschersees in einem ganz anderen Licht. Ich kann es unmöglich in Worte fassen, wie geborgen ich mich da oben fühlte in jener Nacht. So fern von jeglichen menschlichen Einflüssen und so vermeintlich nah am Kern von unserer Heimatgalaxie.

Dass der See zugefroren war, hatte nun auch seine gute Seite, denn als die Temperatur gegen Null Grad Celsius sank, traute ich mich auf die dünne Eisschicht des Sees. Eine ganz neue Welt an Vordergründen tat sich mir auf. Überall Linien, Skulpturen aus Eis und Framing-Möglichkeiten für ein schönes Bild. Vorsichtig hüpfe ich von Scholle zu Scholle, um möglichst die spärlich zugefrorene Eisschicht zu meiden. Was für ein Erlebnis!

Am frühen Morgen beim ersten Blick aus dem Zelt sehe ich direkt ins Tal des Aufstiegs hinab. Ich freue mich, hoch über den Wolken zu sein, welche weit unten als Meer das Tal bedecken. Der Blick in die andere Richtung, wo sich mein geplantes Fotosujet befand, erfreute mich umso mehr: Sanfte und doch schön definierte Schleierwolken waren am Himmel und der Osten war frei. Wie erwartet sah der Himmel fantastisch aus und harmonierte wunderbar mit den Blautönen der Gletscherschollen.









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